Monday 3 November 2014

Blue Sydney

Sydney: Alles Verbrecher

Nach dem Lianengewirr in Minnamurra und dem übertriebenen Regenbogenaufgebot von Kiama wird es Zeit für den nüchternen Großstadtdschungel.
Theresa und ich hatten nämlich noch eine Rechnung offen mit der größten Stadt dieses Kontinents: Um die Ursprünge des heutigen Australiens zu erkunden, besuchten wir die Hyde Park Barracks in Sydney.

Auch 195 Jahre nach ihrer Fertigstellung versprühen die Baracken ein zwielichtiges Flair
Diese Baracken waren im 18. und 19. Jahrhundert das Zuhause zahlreicher Strafgefangener aus Großbritannien und ist heute ein Museum das die Zustände der damaligen Zeit dokumentiert.
Im Gespräch mit meinem geschätzten Laborkollegen und Ozeanien-Experten Daniel Avery erfuhr ich unlängst, dass die rund 80% jener Australier die ihre Herkunft nach Europa zurückverfolgen können, kein Problem mit der kriminellen Vergangenheit ihrer Vorfahren haben.
Ich unterstelle dem australischen Volk damit keineswegs eine Neigung zur Gesetzesübertretung. Es ist vielmehr kein Tabu zu sagen, dass die ersten Siedler alle etwas auf dem Kerbholz hatten.

Keine Sträflinge: Matthias und Theresa zwischen Hyde Park und St. Mary's Cathedral
Das Museum in Sydney zeichnete ein recht rabiates Bild vom damaligen Großbritannien, dessen Arbeiterklasse gerade die volle Brutalität der Industrialisierung spürte: Die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft befand sich auf unerhörtem Niveau.
Die Oberschicht fürchtete sich um ihren Besitz und nahm ungeniert Einfluss auf die Gerichtsbarkeit um Eigentumsdelikte höchstmöglich zu bestrafen. Auf geringe Diebstähle stand die Todesstrafe und die Hinrichtungen wurden öffentlich veranstaltet.
Im Irrglauben, dass das potentielle Diebe abschrecke.

Früher gab es noch eine zweite Etage Hängematten im selben Raum


Die Freiluft-Exekutionen waren aber so eine Hetz, dass die Massen sie zur Unterhaltung besuchten, was wiederum viele Taschendiebe anlockte.
Als dann die Einsicht nahe lag, dass das ganze Hinrichten nicht den gewünschten Effekt erzielte, entschied man sich -auch vor dem Hintergrund des galoppierenden Imperialismus Großbritanniens- den Sträflingen eine Alternative zum Strang zu bieten.

Während man die Delinquenten in Österreich zum Sacklpicken verdammte, stellten die britischen Gerichte ihre Verurteilten vor die Wahl: Entweder Zwangsarbeit in der Strafkolonie oder Galgentod im Heimatland.
Weil die Krone nach dem Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1776 genug von den noch-nicht-vereinigten Staaten hatte, schiffte man die Sträflinge nach Australien um dort den britischen Einfluss zu mehren.

Dieses Konzept der von Gerichten geförderten Zwangsarbeit blieb nicht einzigartig in der Geschichte Großbritanniens und wenn ich meiner neugewonnenen Freundin und US-Korrespondentin Sangita Diaz Glauben schenken darf, dann grassiert in einer anderen ehemaligen Kolonie auch heutzutage noch die Zwangsarbeit in den überfüllten Gefängnissen wo unter Sklaverei-ähnlichen Bedingungen viele Organisationen (IBM, Victoria's Secret, US Army) kostengünstig produzieren lassen.
Ein Riesengeschäft ist das.

Links im Bild: Sydney Tower Eye


Soviel dunkle Geschichte macht hungrig und so begaben wir uns nach Chinatown um etwas von den örtlichen, fernöstlichen Spezialitäten zu kosten.
In meinem jugendlichen Leichtsinn dachte ich mir, ich sollte meinen kulinarischen Horizont erweitern. Der Gedanke allein war schon von Grund auf töricht: Lieber beim Gewohnten bleiben. Weils da draußen nix gibt.

Gebratener Reis ist für Feiglinge

Aber offensichtlich hat meine christlich-konservative Erziehung in diesem entscheidenden Moment beim Chinesen ausgelassen denn ich bestellte mir ein tausendjähriges Ei mit Tofu.
Man kannte dem Ei sein ehrwürdiges Alter an. Der Dotter hatte sich schwarzgrau verfärbt und das Weiße vom Ei war als dunkles Gelee kaum wiederzuerkennen.
Aber geschmacklich gut!

Heute noch liege ich nachts wach und frage mich, was die haarigen Streusel waren. Ich kann nur sagen, dass sie wie ein Suppenwürfel schmeckten

Leider ist es meinem Gaumen dann doch etwas zu exotisch geworden und ich musste, bevor ich noch ganz aufgegessen hatte, w.o. geben.
Nach intensiven Recherchen im asiatischen Kulturkreis (also eine kurze Umfrage in meinem Labor) stellt sich heraus, dass es überhaupt kein Zeichen von Höflichkeit ist, als Gast etwas vom Essen übrigzulassen. Trotzdem zogen wir uns in diesem authentisch-chinesischen Restaurant nicht den bösen Blick der Köche zu.
Im Gespräch mit der Chefin des Restaurants war eher eine leichte Spur Anerkennung zu vernehmen, als sie mir sagte, dass ich mich über ein sehr traditionelles Gericht getraut habe.
Nachdem wir ihr verraten hatten woher wir kamen, erzählte sie uns gleich recht stolz, dass ihre Tochter Musik in Australien studiert, denn sie kannte Österreich und verband das Land mit den Komponisten die es hervorgebracht hat.
Das war seinerzeit Ayakás erste Reaktion und jene von Bryant Tan, einem Freund vom Studentenheim der ein Liebhaber klassischer Musik ist und sich zur chinesischen Minderheit in Malaysien zählt.
Ich kann als Gstudierter anhand dieser Daten ruhigen Gewissens hochrechnen und sagen, dass alle Asiaten dieser Welt (4.3 Milliarden) Österreich mit klassischer Musik verbinden beziehungsweise mit jenem Film der Österreichs Bild im Ausland wohl am stärksten geprägt hat.

Zwei Buchstaben und gut sechzehntausend Kilometer

Blue Mountains: Nebel ohne Wiederkehr


Um Theresa auf die Heimkehr ins Land der Berge etwas vorzubereiten, machten wir einen Wochenendausflug nach Katoomba in die Blue Mountains.
Katoomba ist eine kleine Stadt deren Bewohner auf dem einschlägigen Wikipediaeintrag gleich zweimal als "exzentrisch" bezeichnet werden.
Mein Eindruck war, dass sich Katoomba als perfekter Schauplatz für einen Stephen King Roman eignet. Da war zum einen unser Hotel, das sich zwar Clarendon nannte, aber ich war mir sicher, wenn ich einen Blick hinter das Schild geworfen hätte, den Schriftzug "Overlook Hotel" gefunden zu haben.
Es schien nur mir aufzufallen, aber ich war mir sicher die Rezeptionistin, sie, sie, sie blinzelte nur mit einem Auge.

Ein weiteres Mal zeigt sich, dass der britische Einfluss auf Australien nicht immer zum Besten war

Zum anderen war da der Nebel, der sich mit unnatürlicher Geschwindigkeit und Dichte über die 8000-Seelen-Stadt ausbreitete.
Theresa und ich hatten genug Zeit in den Welten Stephen Kings verbracht um zu wissen, was es geschlagen hat: Die Heckenfiguren meiden, das Antlitz unserer Väter nie vergessen und Zuflucht im Einkaufszentrum suchen. Nur: In einer gottverlassenen kleinen Stadt wie dieser gab es keine Einkaufszentren die Schutz vor dem Nebel des Grauens boten. So huschten wir von Krämerladen zu Krämerladen wo man uns allerhand needful things anbot.

Welch blasphemische Botschaft verbirgt sich hinter Katoombas Kunst?

Schließlich schafften wir es zu den drei Schwestern, einer Gesteinsformation die drei versteinerte Frauen darstellt.
Die Entstehungsmythen um diese bizarren Säulen sind zahlreich und widersprüchlich. Manche sagen, die Schwestern seien von ihrem eigenen Vater versteinert worden um sie vor dem grauslichen Bunyip zu schützen, einem Horrorwesen über das selbst ein HP Lovecraft nur furchtsam vage Andeutungen gemacht hätte.
Die vierte Schwester
Andere Interpretationen gehen davon aus, dass die Felsen einst drei schwangere Schwestern waren, die vor Schreck und Zorn über den Ungehorsam ihrer Ehemänner zu Steinsäulen erstarrten.
Das Schauspiel war für uns nur wenige Momente zu erkennen bis dichter Nebel die Schwestern umfing, gleich einem Alkoholschleier der sich manchmal gnädig um den Verstand legt.
Jamison Valley, kurz bevor der Nebel kam

Die Schwestern warten auf ihre Entsteinerung

Theresa und ich ließen uns von der mangelnden Aussicht aber nicht die Laune verderben schließlich konnten wir uns die beeindruckende Landschaft die jenseits des Nebels lag eh vorstellen.
Und auch das dortige Tourismusbüro hatte für solche nebligen Tage, die scheinbar öfters vorkamen als die Werbeprospekte zugeben wollten, vorgesorgt: Eine wandgroße Fotographie von der Landschaft draußen bot ein Ersatzmotiv für alle die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.

Im Hintergrund die atemberaubendste Landschaft der Welt (nur sichtbar für Leute von Charme, Anstand und Intelligenz)

Am Ende schieße ich noch ein paar Bilder nach die gar nichts mit Sydney oder Katoomba zu tun haben sondern wieder ein paar Eindrücke vom schönen Wollongong vermitteln sollen:


Das Musikkonservatorium im botanischen Garten von Wollongong

Unsere Lieblingsbank

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