Saturday 18 October 2014

Das Land der Geisterfahrer

Der Einfluss des Vereinten Königreichs auf Australien und seine Menschen muss bei näherer Betrachtung als verheerend bezeichnet werden. Der Kolonialismus britischer Prägung hat zwar über die Jahrhunderte verschiedene Masken aufgesetzt, war aber stets alive and kicking. Einen der zynischsten kulturellen Exporte Ihrer Majestät durfte ich Ende August am eigenen Leib erfahren: Den Linksverkehr.

Die Kraftfahrer unter meinen Lesern werden es mir nachfühlen wenn ich sage: Die Zivilisiertheit einer Gesellschaft lässt sich am Straßenverkehr ablesen.
Als Theresa und ich beschlossen von Wollongong aus mit dem Leihauto einen Tagesausflug zu drei nahegelegenen Sehenswürdigkeiten zu machen, setzten wir uns also der nackten Barbarei aus.

Als ich sah, dass das Lenkrad auf der rechten Seite ist, war mir bereits klar, dass das vermutlich kein Fahrvergnügen wird. Als ich in den Früh- bzw. Linksverkehr einbog, beschlich mich die Angst, dass das ganze böse ausgeht. Als ich zum wiederholten Mal im zweispurigen Kreisverkehr angehupt wurde und Theresa mich fragte "Gehts eh?", sagte ich, "Aber sicher, Mausi! Alles im Griff!".
Wie sich das als Mann so schickt, habe ich meine Unsicherheit und Inkompetenz mit Aggression und Großspurigkeit überspielt. Ein Erfolgsrezept.

Und tatsächlich, nachdem ich noch einige Male zu Recht angehupt wurde, gewohnte ich mich an die spiegelverkehrten Verhältnisse und wir holten ohne Katastrophen den im letzten Blogeintrag bereits angekündigten Publikumsliebling ab: Ayaká Fujiwara.
Ayaká hat in Kyoto übrigens Volleyball und Englisch unterrichtet. Und wird es wieder tun, wenn sie heim kommt.

Als ich sie damals fragte ob sie Mila Superstar kenne, meinte sie, dass ihre Mutter das gerne geschaut habe als sie jung war. Ayaká erklärte mir, dass die Serie schon 1969 unter dem fetzigen Namen Atakku Nanbā Wan (Attacke Nummer 1) erstausgestrahlt wurde.
Meine ehemalige WG-Kollegin stieg ein, bot Kekse an, und wir fuhren los Richtung Minnamurra. Der Dschungel wartet.

Minnamurra

Wir drei hatten insgesamt sechs Kameras mit an diesem Tag. Acht, wenn man die rückseitige Linse von Theresas und Ayakás Handys mitzählt. Ayakás Fotos lassen sich leicht an der dezent höheren Sättigung erkennen.

Theresa und Ayaká: blutjung und schick
Vogelnest-Farn

Lianen-Ayaká

Spargeltarzan II: Der Regenwald schlägt zurück

Im Hintergrund: Eine gigantische Würgefeige

Wir fühlen uns wohl im Dschungel

Die Amazonen aus der Ferne


Aus der Nähe kann man ihre Drohgebärden sehen!

Der Minnamurra Regenwald gilt als beispielhaft...


... für den Dschungel der sich früher über die komplette Region erstreckt hat

Sonnenschein und Regen wechselten sich ab...

...und wir passten aufeinander auf, damit keiner ausrutscht


Wie in einer Ehe, würde mein Vater sagen
 
Minnamurra liegt in einem subtropischen Miniklima

Die 2.6 Kilometer durch den Dschungel brachten Theresa und mich doch etwas außer Atem.
Im Gegensatz zu Ayaká, die hüpfte munter voraus


Die Lianen nehmen teilweise bizarre Formen an
Der erste, kleinere Wasserfall von Minnamurra

So sieht der Wasserfall von weiter oben aus (inklusive Regenwald-Regen): Link

Bin ich der Einzige der einen versteinerten Entenkopf sieht?

Nach einer guten Stunde sind wir beim größeren Wasserfall angekommen. Wunderschön, wie ich finde: Link

Die höhergelegenen Wasserfälle von Minnamurra boten den ersten hübschen Regenbogen an diesem Tag. Es sollte nicht der letzte bleiben

Ein bisschen Kitsch muss sein

Kiama Blowhole

Ich höre öfters, dass der Abwechslungsreichtum der neuseeländischen Natur Grund genug ist, die Insel zu besuchen. Aber Australien braucht sich in dieser Hinsicht auf keinen Fall verstecken: Wir verließen mit unserem Seat den Dschungel und seine Wasserfälle, fanden uns im kurz darauf in einer grünen Hügellandschaft mit ausgedehnten Weideflächen für Kühe und Pferde wieder um schließlich in der palmenbesetzten Küstenstadt von Kiama anzukommen. Da können sich die in Neuseeland herunterlassen.

Das einzige was die Kiwis den Australiern voraus haben, sind gut ausgestattete Flughäfen. Auf der anderen Seite, wer bleibt schon länger als notwendig auf einem Flughafen? Aber ich schweife ab.

Kiama hat gut 12.000 Einwohner

Die Leute kommen hierher zum Surfen, Fischen und Fontänenschauen...
 
...oder um theatralisch in die Ferne zu blicken


Ayaká ist mäßig begeistert
Der Wind blies stark...

...aber die Sonne wärmte uns


Ein Meeresschwimmbecken. Solche gibt es in Wollongong auch
Wir nähern uns dem interessanten Teil Kiamas...


Kiama ist eine kleine, malerische Stadt mit einer großen Attraktion. Früher hat erstarrte Lava die Küste durchzogen. Diese Lava war weicher als das restliche Gestein und wurde daher schneller abgetragen. Dadurch haben sich Tunnel und Hohlräume gebildet die jetzt vom Meer durchflutet werden. In den Hohlräumen bildet sich regelmäßig großer Luftdruck der das Wasser in hohen Fontänen in die Höhe spritzen lässt.
So schaut das aus:

Jede Fontäne wird von einem Grollen und leichten Erdbeben begleitet





Nach ein paar Minuten stand die Sonne genau richtig ...

...sodass bei jeder größeren Fontäne...
...ein Regenbogen zurückblieb

Regenbögen links, rechts und mittig!

Doppelregenbogen!

Ein Goldschatz am Ende des Regenbogens

Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ayaká beschwört all diese Regenbögen. Sie ist das Mädchen mit den Zauberkräften!

Wer gerne die Fontäne in Aktion sehen möchte, hier gibts ein Video
Kiamas Leuchtturm wurde 1887 fertiggestellt


Am Rückweg wollte ich noch ein paar Semmeln aus dem Picknickkorb fuchsen. Ich wurde aber von der Familie ertappt und tat so, als wäre meine Absicht gewesen, ihnen ein Gruppenfoto anzubieten

Killalea Park

Zu guter Letzt besuchten wir den Killalea Park. Wir hatten dort nicht allzuviel Zeit weil der Autoverleih um sechs Uhr zusperrt und wir bis dahin das Auto wieder zurückbringen mussten.
Deswegen konzentrierten wir uns auf die wesentlichen Dinge: Zum Beispiel diesen mordsdrum Baum zu bekraxeln.


Theresa und ich ganz klein

Ich war noch nie ein großer Turner, deswegen brauche ich auch die Hilfe von Ayaká

Madame Fujiwara nimmt Anlauf...
...und schwingt sich mit katzengleichem Geschick auf den Ast!

Geschafft! Ein Dankeschön an unsere Sportfotografin Theresa


Wir gingen durch den Wald von Killalea...
...und kamen am Meer an. Auch wenn nicht unbedingt Badewetter war...

...genossen wir das Meer, den Strand und die Wolken
Damit neigte sich unser regenbogenlastiger Tagesausflug dem Ende zu. Den Leihwagen brachten wir auf die Minute und unter einigen Verstößen gegen die StVO zurück.

Im nächsten Eintrag widmen wir uns wieder Sydney zu und welchen Fehler ich dort in Chinatown beging.
Außerdem: Matthias und Theresa bereisen die Blue Mountains! Gibt es ein Entrinnen vor dem Nebel des Grauens?

Thursday 2 October 2014

Brisbane. Das ist Kunst...

Bezugnehmend auf meinen letzten Eintrag im Reiseblog, erreichte mich wieder eine Vielzahl an Fanbriefen. Darunter diesmal signifikant viele Einreichungen von unseren nordischen Nachbarn, den Deutschen.
Sie meuterten, dass der Text passagenweise unverständlich und von fremdem Vokabular sowie exotischer Grammatik geprägt sei. Ja, ich gebe zu, mir hat es den Österreicher, angesichts der dramatischen Entführung meiner Theresa, gescheit herausgehaut. Vielleicht liegt das daran, fange ich an zu philosophieren, dass wir in den Momenten größter Drangsal und Not auf eine primitivere Bewusstseinsebene zurückfallen. Es kann aber auch sein, dass ich die Marmeladinger mental bisher nicht zu meinem Zielpublikum gezählt habe. Das soll sich auch in Zukunft nicht ändern. (Ich grüße an dieser Stelle die Familie Wimplinger und ganz besonders herzlich Andrea)

Theresa und ich begaben uns weiter in den Süden Australiens. Wir verließen langsam das angenehme Klima des Nordens und kamen im verregneten Brisbane an.

Manche meinen, Brisbane sei ein kleines Sydney

"Was kann man in Brisbane tun?", frage ich meine Frau. "Wir gehen in ein Museum!", sagt sie, "ich liiiiiebe Museen!"

Ich denke an die Haltung zurück, dir mir einst mein Spezl Ralf näher gebracht hat und gleichsam das Fundament jeder glücklichen Ehe ist: Mir ist es wurscht und ihr macht es eine Freude.
"Super Idee, Schatzi!", knirsche ich.

Theresa war immer schon künstlerisch veranlagt. Ihr -mittlerweile international renommierter- Kaiserschmarrn zum Beispiel erinnert optisch an die Werke eines jungen Jackson Pollock spielt aber geschmacklich auf einer weit höheren Liga.
Folgerichtig suchte sich Theresa also die "Gallery of Modern Art" für unseren Bildungsbesuch aus.

Bevor wir noch das Museum betraten, beschlich mich der Verdacht, dass die dortigen Kuratoren etwas schleißig mit den Exponaten umgehen. Wie zum Beispiel, kann es sein, frage ich mich den Praktiker-Kopf schüttelnd, dass man einen Elefanten falsch in die Landschaft stellt? Haben sich die feinen Herren mit dem abgeschlossenen Kunststudium gedacht, es fällt nicht auf, wenn der Dickhäuter einen Kopfstand macht.

Irgendetwas stimmt hier nicht
Erst später wurde mir klar, dass ich aus meiner Perspektive das Kunstwerk nicht verstehen habe können. Es verbirgt sich nämlich hinter dem Elefanten eine kleine Wasserratte (auch aus Bronze).

Theresa erklärte mir geduldig, dass es sich bei "The World Turns" von Michael Parekowhai um eine Kritik der Geschichtsschreibung handelt. Nämlich, dass sich Historiker gern auf die großen Männer und deren Perspektive konzentrieren. Dabei übersehen sie den Blickwinkel und die Geschichten der Kleinen, die mit allen Füßen -und nicht mit dem Kopf- am Boden stehen.
"Jetzt wo du es sagst, sehe ich es auch".

Ich gebe zu, dass mein FH-Hirn für solche abstrakten Gedankensprünge nicht geschaffen ist.
Deswegen sind bei Theresa und mir, wie in jeder ordentlichen Partnerschaft auch, die alltäglichen Aufgaben zuhause klar und gerecht verteilt: Ich bin der praktische Typ der in der Wohnung die Glühbirnen wechselt und sich generell um den Haushalt kümmert. Sie, als die Intellektuelle, schreibt einen kritischen Essay darüber, auf italienisch.
Ich kann mich nicht beklagen.

Tomás Saraceno, Biosphere
Das Museum wartete mit einem Raum über Aktionskunst inklusive Videos auf. Theresa und ich glaubten, wir könnten uns wie gewöhnlich am Sonntag um 20:15 ein bisschen vor dem Fernsehgerät entspannen, ahnten aber nicht, auf welchen Wahnsinn wir uns einließen. Denn Anstatt Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser erwarteten uns Rebecca Horn und Erwin Wurm.
Theresa, ich und ein kleiner Junge neben uns saßen auf der Bank und sahen Wurm dabei zu wie er seine kurzlebigen Skulpturen bastelte. Als der Bursch uns fragte, was Wurm da mache, hätte ich gerne den Klassiker "Dafür bist du noch zu jung" gebracht. Aber das wäre gelogen gewesen, weil das Alter indem man bildende Kunst versteht, kommt nicht von selber. Das fährt einem entweder sofort direkt ins Hirn wie ein Filzstift oder man erarbeit sich eine Erklärung.



Theresa, Lehrerin aus Leidenschaft, konnte uns die Kunst von Erwin Wurm verständlich machen und in einen lebensrelevanten Kontext setzen (wie man in der Fachdidaktik so sagt):
Die One Minute Sculptures sind ein humorvoller Kommentar über die Bemühungen von Künstlern sich durch ihre Werke unsterblich zu machen. Nichts ist für die Ewigkeit geschaffen und das sollte jeder akzeptieren. Kunst lebt nicht ewig.


Außerdem, fährt Theresa mit der Brille auf der Nasenspitze fort, finden die Red Hot Chili Peppers den Erwin Wurm auch super. Das allein war für mich schon Grund genug die Kunst ernst zu nehmen. Nicht aber für den Knaben neben mir; der hat gerade mit Nirvana-Hören angefangen. Die 90er sind stark in Australien.


Rebecca Horn auf der anderen Seite war nicht so zugänglich und Theresa fiel auch keine Band ein, die mit ihrer Kunst Musikvideos produzierte.
Die Videos aus den frühen Siebzigern auf denen Körpererweitungen wie die Bleistiftmaske, die Kopfextension und der Einhornanzug in Aktion zu sehen sind, waren selbst Theresa zu steil. Auch sie konnte unser hilfloses Gefühl der Entfremdung nicht durch eine ihrer Deutungen mildern.

Rebecca Horn, Kopfextension

In diesem Sinne schließe ich den heutigen Blogeintrag und mache wieder einmal vage Andeutungen was meiner geschätzten Leserschaft das nächste Mal blüht:
Dschungel, Wasserfälle, Regenbögen und ein Stargast aus dem Land der aufgehenden Sonne.